3. Juni 2019
An die
Deutschen Bischöfe
Die Welt braucht keine Verdopplung ihrer Hoffnungslosigkeit durch Religion; sie braucht und sucht (wenn überhaupt) das Gegengewicht, die Sprengkraft gelebter Hoffnung. Und was wir ihr schulden, ist dies: das Defizit an anschaulich gelebter Hoffnung auszugleichen. In diesem Sinn ist schließlich die Frage nach unserer Gegenwartsverantwortung und Gegenwartsbedeutung die gleiche wie jene nach unserer christlichen Identität:
Sind wir, was wir im Zeugnis unserer Hoffnung bekennen?
(Synodenbeschluss Unsere Hoffnung (1975), II,2)
Sehr geehrte Herren Erzbischöfe und Bischöfe,
sehr geehrter Herr Kardinal Marx,
wir begrüßen Ihre Initiative zu einem synodalen Reformweg als ernsthaften Schritt in die richtige Richtung und wünschen ihr den erhofften Erfolg. Der Prozess verlangt Mut, denn es geht nicht um Reparaturmaßnahmen, sondern um strukturelle Veränderungen der Kirche.
Wenn wir als Religionslehrer*innen in Deutschland die Partizipation am synodalen Prozess einfordern, tun wir dies aus der Verantwortung heraus, dabei mitzuhelfen, dass die Kirche als glaubwürdige Gemeinschaft der Glaubenden zukunftsfähig wird. Wir möchten mit diesem Brief nachdrücklich verdeutlichen, worum es aus unserer Sicht geht.
Als Bundesverband katholischer Religionslehrerinnen und Religionslehrer an Gymnasien und Gesamtschulen mit seinen Mitgliedsverbänden auf Landes- und Diözesanebene in Deutschland sind wir von der dringenden Notwendigkeit eines “synodalen Prozesses” in der Kirche überzeugt.
In Deutschland gibt es ca. 70.000 katholische Religionslehrerinnen. Wir Religionslehrer*innen werden als Vertreterinnen unseres Glaubens und unserer Kirche wahrgenommen. Die große Mehrheit von uns unterrichtet an öffentlichen Schulen und begegnet insbesondere dort der weltanschaulichen Pluralität, die unsere heutige Gesellschaft kennzeichnet. Das trifft schon für unsere Kolleg*innen zu, in besonderer Weise aber für unsere Schüler*innen. Für junge Menschen stellt Kirche immer seltener einen Erfahrungsraum dar. Von Kirche erwarten die meisten nur wenig oder nichts mehr an Prägung für ihr eigenes Leben oder die Gesellschaft. Kirche ist gewissermaßen “abgehakt”, veränderungsresistent, vor allem aber: unglaubwürdig.
Im Kontrast dazu erleben wir durchaus ein Interesse und eine Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung mit existentiellen Fragen des Lebens, die dann auch die Fragen und Themen des Glaubens berühren. Dies zu ermöglichen und damit Fragen des Glaubens und der Religion vernünftig zu reflektieren und darin Schüler*innen sprach- und dialogfähig zu machen, ist Absicht und Ziel unseres Religionsunterrichts. Hiermit erfüllt er zugleich den staatlichen Bildungsauftrag und stellt die sachlichen Bezüge zur Theologie als leitender Bezugswissenschaft her.
Religionsunterricht ist von den Auswirkungen des Missbrauchs von Menschen und Macht betroffen, wenn Schüler*innen die für eine Gesellschaft grundlegenden Werte und Tugenden, die ihnen in der Schule vermittelt werden, in der Amtskirche nicht wiederfinden: Respekt vor persönlichen Lebensentscheidungen, Gewissensfreiheit, Partizipation durch Mitverantwortung und Mitentscheidung, gleiche Rechte für Frauen und Männer. Stattdessen wird dies konterkariert durch das Erleben oder Wahrnehmen von religiöser Machtaufladung in einem klerikalistischen priesterlichen Selbstbild, durch die Dämonisierung von Sexualität, durch Tabuisierung von Homosexualität und alternativen Liebes- und Lebensformen in der Kirche sowie durch Ausgrenzung wiederverheirateter Geschiedener.
Schüler*innen ent-decken in diesen Kontexten eine intransparente, unehrliche, machtorientierte Amtskirche, die den Schutz der Sakralität ihrer Institution höher achtet als die Menschen, die sich ihr anvertrauen. Der Missbrauch und seine Vertuschung stellen nur die Spitze des Eisbergs dar, an dem das majestätisch-stolze Schiff der Kirche unterzugehen droht. Die Glaub-Würdigkeit der Kirche und ihrer Botschaft ist öffentlich zerrüttet.
Dem Religionsunterricht vor diesem Hintergrund eine kompensatorische Funktion zuzuweisen, ist zum Scheitern verurteilt. Derartige Erwartungen verkennen seine Möglichkeiten sowie seinen genuinen Auftrag und gefährden letztlich seinen Bestand.
Im Religionsunterricht erleben wir täglich, wie bereichernd das Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen für den Glauben sein kann. Immer wieder stehen wir vor der Herausforderung, die Lebenswelt der Schüler*innen mit der Theologie in Korrelation zu bringen. Wir machen Erfahrung damit, “sperrige” theologische Sprache neu formulieren zu müssen. Im Religionsunterricht geht es primär um Wertekommunikation, nicht um Wertetradierung. Im Mittelpunkt stehen die Lernenden als Subjekte ihres Glaubens.
Religionsunterricht ist gemäß aller Statistiken nach wie vor attraktiv. Das steht im schroffen Gegensatz zur Distanz und kritischen Haltung, die Schüler*innen im Übrigen zur Kirche einnehmen. Der Religionsunterricht ist oftmals für sie der einzige Ort der Begegnung mit dem christlichen Glauben. Unser Glaube erweist sich dabei als ein reicher, positiv gesellschaftsprägender Schatz. Sehr viele Theologiestudent*innen geben als entscheidendes Motiv für ihre Studienwahl einen „guten Religionsunterricht“ an. Umso dramatischer ist daher der massive Glaubwürdigkeitsverlust der Kirche. Wenn Kirche und Glaube überhaupt eine Zukunft haben sollen, bedarf es dringender Reformen:
- Wir fordern eine lernende Kirche, die offen ist für neue Impulse und kritische Anfragen, die ernst macht mit der Rede von Gott, der sich immer neu in der Geschichte offenbart (Ex 3,14ff.). Eine lernende Kirche, die ehrlich zuhört und in dem, was andere sagen, ein Licht erkennt, „das ihr helfen kann, das Evangelium tiefer zu verstehen.“ (vgl. Christus vivit, Nr. 41).
- Wir fordern, dass anspruchsvolle, diskursiv betriebene Theologie in kirchlichen Strukturen und kirchlicher Verkündigung angemessen Berücksichtigung findet.
- Wir fordern das Ende eines repressiven Umgangs mit innovativ denkenden Theolog*innen. Kritische, auch unbequeme Stellungnahmen müssen als Chance wahrgenommen werden, nicht als Störfaktor.
- Wir fordern eine Christologie und Ekklesiologie, die den Jesus der Evangelien in den Mittelpunkt stellen, der einen Gegenentwurf zu aller menschlichen Versuchung der Macht darstellt (Mt 4,8ff.).
- Wir fordern im Sinne einer Nachfolge Jesu eine dienende Kirche, sowohl im solidarischen Dienst an der Welt als auch im Hinblick auf die Umsetzung subsidiärer Leitungsstrukturen.
- Wir fordern eine “Verheutigung” theologischer Sprache in allen kirchlichen Handlungsräumen und die mutige Übersetzung dogmatischer Formeln, so dass Menschen die befreiende Botschaft des Glaubens als lebendig machend wahrnehmen können.
- Wir fordern ein Umdenken in Fragen von Sexualität insbesondere auch von Homosexualität, die Wertschätzung der menschlichen, körperlichen Verfasstheit verbunden mit der Freude am Körper und der eigenen Sexualität. Dringend notwendig erscheint ein ehrlicher Blick in die eigenen Reihen im Hinblick auf die Themen Sexualität, Homosexualität und Beziehungsfähigkeit.
- Wir fordern mutigere Schritte in der Ökumene, vor allem selbstkritische Schritte auf dem Weg zum Abbau aller Schranken, die im katholischen Amtsverständnis begründet sind.
- Wir fordern im Blick auf den angekündigten synodalen Prozess aus jedem (Erz-)Bistum eine Auskunft, wie dieser umgesetzt und als handlungsleitend konkretisiert wird.
- Wir fordern verbindliche Maßnahmen der Umsetzung des anstehenden synodalen Prozesses und ein Ernstnehmen des Glaubens aller Gläubigen (sensus fidei). Wenn der Geist weht, wo und in wem und wie er will, wenn – wie wir glauben – der Geist in den Gliedern wie in den Häuptern der Kirche wirksam ist, dann ist das Prinzip der Partizipation für den anstehenden Prozess absolut notwendig.
Wir sind bereit, uns in den Reformprozess mit unserer theologischen und pädagogischen Expertise einzubringen, sobald erste klare Schritte im Hinblick auf die Umsetzung dieser Forderungen gegangen werden.
Mit vorpfingstlichen Grüßen
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